Global Prison Trends 2022: Dem Problem der Überbelegung mit neuen Lösungen begegnen

Praxisentwicklung

Catharina Geurtzen, Assistentin und Doktorandin beim Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern

Weltweit waren noch nie so viele Personen inhaftiert wie im Jahr 2022. In den meisten Ländern ist eine Überbelegung der Gefängnisse und Justizvollzugsanstalten Realität. Gewöhnlicherweise reagieren Behörden mit der Schaffung von zusätzlichen Haftplätzen auf die Kapazitätsprobleme. Die NGO Penal Reform International schlägt vor, neue Lösungswege zu gehen. 

Die NGO Penal Reform International (PRI) wurde im Jahr 1989 gegründet und hat ihren Hauptsitz in London und Den Haag. Ihre Vertreterinnen und Vertreter setzen sich weltweit für die Einhaltung von Menschenrechten und gegen Diskriminierung im Justizvollzug ein. Ein Schwerpunkt liegt dabei bei besonders verletzlichen Inhaftierten, wie ältere Personen, Personen mit einer Behinderung, ethnische und religiöse Minderheiten, LGBTIQ+-Personen und auch Kindern.
PRI publiziert jährlich den Bericht Global Prison Trends, in dem internationale Entwicklungen und Herausforderungen im Justizvollzug beschrieben und analysiert werden. Der Bericht Global Prison Trends 2022 behandelt eine Vielfalt an Themen. Zwei Aspekte treten jedoch besonders hervor: Die weltweit steigende Anzahl der Inhaftierungen trotz abnehmender Kriminalität und der besorgniserregend hohe Anteil der Inhaftierten in Untersuchungshaft. 

Der neuste Global Prison Trends-Bericht zeigt, dass Overcrowding (Überbelegung) im Justizvollzug nach wie vor ein grosses Problem ist. Überbelegung in einer Haftanstalt bedeutet, dass mehr Personen in einer Anstalt inhaftiert sind, als vorgesehen wären.  Überbelegte Justizvollzugsanstalten und Gefängnisse sind in mehr als 121 Ländern Realität. Auf diese Kapazitätsengpässe reagieren Länder in der Regel mit der Schaffung von neuen Haftplätzen. Im Jahr 2021 haben Behörden weltweit die Schaffung von insgesamt 437‘000 neuen Haftplätzen angekündigt. 

illustration global prison trends overcrowding

Überbelegung weltweit und auch in der Schweiz

Obwohl die systematische Überbelegung vornehmlich in Asien und in Afrika ein Problem darstellt,  insbesondere in der Untersuchungshaft, gibt es auch in der Schweiz vereinzelt Fälle von Überbelegung. Das SKJV veröffentlicht regelmässig Kennzahlen für die ganze Schweiz zur Anzahl Plätze in den kantonalen Justizvollzugseinrichtungen zu deren Belegung. Eine Langzeitstudie aus der Schweiz zeigt auf, dass es in Gefängnissen mit Überbelegung zu mehr Selbstverletzungen bei Gefangenen kommt (Baggio et al, 2018). Das Problem der Überbelegung ist auch dem European Committee for the Prevention of Torture (Antifolterkommission, CPT) aufgefallen. Das CPT hat die Länder in Europa, auch die Schweiz, dazu aufgerufen, den Anstieg der Gefangenenpopulation in Untersuchungshaft einzudämmen.
 

Alternative Vollzugsformen als effektive und nachhaltige Lösung

Überbelegung ist ein altes Problem. Das Schaffen von neuen Haftplätzen eine alte Lösung: Neue Lösungsansätze sind, vor allem international, dringend gefragt. Eine erste sinnvolle und naheliegende Veränderung wäre die systematische Anwendung von alternativen Vollzugsformen bei kurzen Haftstrafen. Dadurch würden Personen, die aufgrund von Bagatelldelikten (Diebstahl, Vandalismus oder andere Delikte ohne Personenschaden) verurteilt werden, gar nicht erst inhaftiert. 

Die Covid-Pandemie hat als Treiber in diese Richtung gewirkt: In manchen Ländern kamen während der Pandemie vermehrt alternative Vollzugsformen zum Einsatz, beispielweise der Einsatz von Hausarrest und gemeinnütziger Arbeit als Alternativen für kurze Haftstrafen.  Diese Lösung systematisch anzuwenden hat zwei Vorteile: Erstens würde das Problem der Überbelegung rasch, effektiv und nachhaltig entschärft. Zweitens kommt es bei Personen, welche Bagatelldelikte begangen haben, nicht mehr zu einem Unterbruch des Berufs- und Soziallebens, womit eine Serie an negativen Folgen vermieden werden kann. Studien in den USA und in Australien deuten erfreulicherweise darauf hin, dass es in der Bevölkerung und in der Politik eine grosse Unterstützung für alternative Haftformen gibt. 

Obwohl die alternativen Vollzugsformen Electronic Monitoring und gemeinnützige Arbeit in der Schweiz mittlerweile etabliert sind, ist das Potenzial für gemeinnützige Arbeit noch lange nicht ausgeschöpft. Die Schweiz könnte deshalb bei den bedingten Entlassungen ansetzen. Der Anteil von bedingten Entlassungen sinkt, wodurch der Dichtestress in den Anstalten zunimmt.  Ein weiterer, auch für die Schweiz, neuer Weg aus der Überbelegung, wäre das Kürzen der Ersatzfreiheitsstrafen. Bei Ersatzfreiheitsstrafen handelt es sich um eine Umwandlung von nicht bezahlten Geldstrafen in Freiheitsstrafen. In der Schweiz fällt der hohe Anteil dieser Strafen  auf; deswegen befinden sich viele Leute nur für kurze Zeit im Gefängnis. Hier anzusetzen, wäre ein vielversprechender Weg aus der Überbelegung.