«Retour»: Ein Projekt zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr von ausländischen Personen in Haft

Praxisentwicklung

Hervais Kamdem, Psychiater und forensischer Psychotherapeut FMH - Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit
Simon Mastrangelo, wissenschaftlicher Mitarbeiter SKJV

 

In den Schweizer Justizvollzugseinrichtungen befindet sich ein beträchtlicher Anteil an Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit1, davon verfügt ein nicht unerheblicher Anteil über keinen gültigen Aufenthaltsstatus2. Für diese Personen ist das Ende der Freiheitsstrafe oder einer eventuellen strafrechtlichen Massnahme meist gleichbedeutend mit der Ausreise aus der Schweiz und der Rückkehr in ihr Herkunftsland.

Was geschieht mit inhaftierten Personen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung, wenn ihre Strafe abgelaufen ist? Wie kann man auf ihre Wiedereingliederung hinarbeiten, wenn vorgesehen ist, dass sie die Schweiz verlassen?
Um die wenig bekannten Herausforderungen dieser Situation besser verstehen zu können, wurde im August 2020 ein Projekt unter der Leitung von Hervais Kamdem, Psychiater und forensischer Psychotherapeut beim Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit (FNPG), initiiert. Durch das Projekt, welches Ende 2022 abgeschlossen wurde, war es möglich, die Vielfalt der betroffenen Schlüsselakteure zu ermitteln, die Grundlagen für ein Netzwerk von Praktikerinnen und Praktikern zu schaffen und die ersten bewährten Praktiken in diesem Bereich zu erarbeiten. 

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Eine Rückkehr in Würde als Ziel

Inhaftierte Personen, die erfahren, dass sie nach Ablauf ihrer Strafe oder strafrechtlichen Massnahme ausgewiesen werden, sind mit grosser Unsicherheit konfrontiert. Es fällt ihnen schwer, sich eine Zukunft ausserhalb der Schweiz vorzustellen, da sie manchmal ihr ganzes Leben in der Schweiz aufgebaut haben und zu ihrem Herkunftsland keinen oder nur noch wenig Bezug haben. Ihr Status verhindert zudem gewisse Vollzugserleichterungen (Freiheitsstrafe oder strafrechtliche Massnahme), was bei den Betroffenen zu einem Gefühl der Ungerechtigkeit führen und ihre Betreuung erschweren kann. Um die negativen Auswirkungen dieser Situationen zu begrenzen, ist es wesentlich, die Besonderheiten bei der Betreuung von Personen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis zu beachten und in Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort schnellstmöglich ein Wiedereingliederungsprojekt im Herkunftsland zu erarbeiten. Die Wiedereingliederung, konzipiert im Hinblick auf eine Rückkehr in die Schweizer Gesellschaft, sollte daher in einem breiteren Rahmen neu definiert werden. Auch sollte die Betreuung im Idealfall die Wünsche der inhaftierten Person berücksichtigen, damit sich diese ihre Zukunft vorstellen kann und mithilft, die Rückkehr zu organisieren, mit dem Ziel, dass eine Rückkehr in ihr Herkunftsland «in Würde» möglich ist. Dies fördert die zukünftige Stabilität der betroffenen Person und verringert ihr Rückfallrisiko. Um dies zu erreichen, wäre die Nachverfolgung aller Betroffenen nach der Rückkehr in ihr Herkunftsland nötig, was derzeit aufgrund fehlender Ressourcen nicht möglich ist. 

Eine Website für diese Fragen

Das Projekt führte zu der zweisprachigen Website www.info-retour.ch (deutsch und französisch), die es dank den Aussagen Direktbeteiligter ermöglicht, die wichtigsten Schritte bei der Betreuung inhaftierter Personen ausländischer Staatangehörigkeit ohne gültige Aufenthaltsbewilligung vom Antritt der Freiheitsstrafe bis zur Rückkehr ins Herkunftsland besser zu erkennen. Die Seite zeigt nicht nur, welche Herausforderungen bestehen und wer die beteiligten Akteure sind, sondern enthält auch eine Reihe praktischer Informationen (hilfreiche Adressen und Ressourcen) und Dokumente. Diese Website ist das Ergebnis der Zusammenarbeit verschiedener Partner, insbesondere des Internationalen Sozialdienstes Schweiz, der bereits in Zusammenarbeit mit dem kantonalen Amt für Justizvollzug in Genf und der Rückkehrhilfe des Genfer Roten Kreuzes das Programm «RESTART3» initiiert hat. Das Projekt, aus dem sie entstand, wurde mit der Unterstützung des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Justizvollzug (SKJV) umgesetzt.

Preview Website Retour

Fortsetzung des Projekts

Als direkte Fortsetzung dieses Projekts hat das SKJV ein Folgeprojekt entwickelt, das im Januar 2023 startete und bis Mitte 2024 laufen wird. Rund um einen punktuellen thematischen Austausch unter Fachleuten (Arbeit, Bildung, Gesundheit, rechtliche Fragen) zielt das Projekt darauf ab, ein Netzwerk von Fachpersonen aufzubauen und zu pflegen. Es wird neben der Vernetzung auch die Erarbeitung eines Leitfadens für bewährte Praktiken ermöglichen.

 

 

70% im Jahr 2021 (Quelle: SPACE, FP-CP (2021)11, Europarat und UNIL).

Im Jahr 2021 wurde bei 2'693 Personen eine obligatorische Landesverweisung nach Art. 66a StGB ausgesprochen. In 59% der Fälle wurde die Ausweisung tatsächlich durchgeführt (Quelle, Bundesamt für Statistik, 2021).

3 https://www.ssi-suisse.org/de/restart/372