Leadership und Management im Justizvollzug

Unterschiedliche Führungsaufgaben, ein gemeinsamer Kernauftrag. Bewegte Einblicke in das Berufsfeld Justizvollzug.

Im Justizvollzug gibt es zahlreiche spannende und verantwortungsvolle Führungstätigkeiten. Der Kernauftrag des Justizvollzugs ist die Gewährleistung von Sicherheit und die Resozialisierung. Führungskräfte auf Amtsebene, in den kantonalen Vollzugsbehörden und den Institutionen des Freiheitsentzugs leiten unterschiedliche Abteilungen und Teams und entwickeln den Schweizer Justizvollzug im Rahmen ihrer Aufgaben weiter. Sie prägen den Justizvollzug durch ihre Persönlichkeit ganz wesentlich. 

Gerne nehmen wir Sie mit auf eine Reise in den Alltag von drei Führungspersonen des Justizvollzugs, die in ihren Worten beschreiben, was Leadership und Management für sie bedeutet.  

Die Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeitenden inspiriert mich.

Romilda Stämpfli, Leiterin Amt für Justizvollzug

Die Rekrutierung von Mitarbeitenden, ihre Ausbildung und ihre kontinuierliche Weiterbildung sind für die Führungspersonen von grosser Bedeutung. Passende Rahmenbedingungen zu setzen, welche die Mitarbeitenden im Alltag optimal unterstützen und fördern, ist zentral. Des Weiteren gilt es, die konkrete Begleitung der Mitarbeitenden in ihrem Berufsalltag sicherzustellen und ihnen Gehör zu schenken. Zu diesem Alltag gehören je nach Aufgabengebiet zum Beispiel die Ausübung der behördlichen Fallverantwortung oder die Durchführung der Bewährungshilfe im Hinblick auf eine zielgerichtete und risikoorientierte Vollzugsplanung, so dass am Ende des Vollzugs eine erfolgreiche Reintegration stattfinden kann.
Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben und der internen Richtlinien tragen Führungskräfte in ihrem Bereich die Gesamtverantwortung für Ordnung und Sicherheit, für die Gewährleistung adäquater Haftbedingungen und für die Umsetzung des Vollzugsauftrags.
Die Amtsleitung ist als übergeordnete Organisationseinheit in ihrem Kanton verantwortlich für den Vollzug von Strafen und Massnahmen und weiteren Haftformen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben führt sie die kantonalen Institutionen und die Vollzugs- und Bewährungsdienste. 
Einzelne Kantone verfügen über spezialisierte Straf- und Massnahmenvollzugsgerichte oder Straf- und Massnahmenvollzugsrichter (Tribunal oder Juge d’application des peines), die einen Teil der behördlichen administrativen Aufgaben übernehmen und etwa Entscheide über Vollzugslockerungen treffen.

Ich schätze den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen ich mich in meiner Funktion frei bewegen kann.

Colette Laager, Leiterin Vollzugs- und Bewährungsdienst

Einflussfaktoren von aussen

Führungskräfte im Justizvollzug sind erheblichen Einflussfaktoren ausgesetzt. Die direkte oder indirekte Einflussnahme von Gesellschaft, Politik, Medien oder Wissenschaft ist gross. Es ist wichtig, die Einflussfaktoren oder -kräfte (und die Personen dahinter) zu identifizieren, zu kennen und sich mit ihnen zu vernetzen. Gegenüber den Mitarbeitenden nimmt die Führungsperson in diesem ausgeprägten Spannungsfeld zwischen Restriktion und Reintegration eine wichtige Modellfunktion ein.

Führen von Menschen, die Menschen führen

Alle Mitarbeitenden im Justizvollzug versuchen, die inhaftierten Personen hin zu einem deliktfreien Leben «zu führen». Die unterschiedlichen Mitarbeitenden in dieser besonderen «Führungstätigkeit» zu unterstützen, zu lenken und zu fördern, ist eine zentrale und anspruchsvolle Aufgabe der Vorgesetzten im Justizvollzug. Verschiedene Biografien, Haltungen und Werte prägen die Persönlichkeiten der Vorgesetzten und jener der Mitarbeitenden und wirken auf die Zusammenarbeit ein. Stetiges Abwägen und Begründen von Sicherheitsüberlegungen im Zusammenhang mit möglichen Öffnungen ist eine zentrale Führungsaufgabe in allen Bereichen des Justizvollzugs. Der psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden gilt es im besonderen Mass Aufmerksamkeit zu schenken, da die Mitarbeitenden immer wieder sehr belastenden Situationen ausgesetzt sind. Eine konstruktive, wertschätzende und positive Arbeitsatmosphäre und eine gute Arbeitsstruktur- und -organisation helfen, die Gesundheit am Arbeitsplatz aufrechtzuerhalten. Die Qualität der Führungsarbeit wirkt sich auf die Zufriedenheit und die psychologische Sicherheit aus.

Kommunikation

Eine der Hauptaufgaben der Führungskraft im Justizvollzug ist es, den reibungslosen Informationsfluss zu planen, sicherzustellen und zu evaluieren. Schon kleine Informationslücken können negative Folgen haben. Die primäre Frage lautet nicht: «Was möchten meine Mitarbeitenden wissen?» Sondern: «Was müssen sie wissen, damit sie ihre Aufgabe fachgerecht erfüllen können?» Und auf Letzteres ist als Führungskraft im Justizvollzug grossen Wert zu legen.  Gerade in Krisensituationen kann eine proaktive und bewusste Kommunikation seitens der Vorgesetzten grosse Sicherheit vermitteln.  
Der Informationsaustausch mit Arbeitspartnerinnen und -partnern ist ein weiteres zentrales Element in der Kommunikation. Hierfür benötigt es das entsprechende Know-How und eine breite Vernetzung. 

Komplexität des Systems

Ein gutes Vollzugsmanagement ist komplex, dynamisch und in einem kontinuierlichen Prozess. Die Herausforderung in der Führung besteht darin, erfolgreich mit der Komplexität des Systems umzugehen. Der dynamische und von Menschen geprägte Justizvollzugsalltag hat zur Folge, dass die Planbarkeit durch Vorkommnisse im Tagesgeschäft eingeschränkt wird. Leadership im Justizvollzug erfordert eine Reihe von Kompetenzen, die durch persönliche Wertvorstellungen, berufliches Engagement und die Fähigkeit, zu motivieren und anzuspornen, untermauert werden. Der Justizvollzug wird zudem ausgesprochen interdisziplinär geführt. Dessen unterschiedliche Ausgestaltung auf kantonaler und konkordatlicher Ebene macht die Führungsarbeit zusätzlich komplexer.

Kultur & Ethik

Führungspersonen im Justizvollzug, allen voran der Direktorin/dem Direktor einer Institution des Freiheitsentzugs und ihren resp. seinen Stellvertreterinnen und Stellvertretern, kommt die Schlüsselrolle bei der Ausprägung der Anstaltskultur und Ethik zu. Die rechtmässige und menschliche Behandlung der Menschen im Zwangskontext beeinflusst den Veränderungsprozess prosozial. Ein gutes Anstaltsklima wirkt sich darüber hinaus positiv auf die Sicherheit und die Gesundheit des Personals als auch der Inhaftierten aus. Kenntnis der internationalen Menschenrechtsinstrumente und -standards sind hierfür wesentlich. Die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze pochen auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag des Justizvollzugssystems und betonen dabei sowohl die Wichtigkeit ethischer Aspekte als auch die Pflicht von Führungspersonen, mit gutem Beispiel voranzugehen. 

 

Führungskräfte in den Institutionen des Freiheitsentzugs sorgen mit ihren Mitarbeitenden für den rechtmässigen Vollzug der richterlich ausgesprochenen Sanktion und stellen die angemessene Betreuung der inhaftierten Personen sicher. Dabei sind sie stets in Kontakt mit Behörden und anderen involvierten Stellen.

Man kann nicht Manager einer Anstalt sein, ohne Leader zu sein.

David Lembrée, Direktor Justizvollzugsanstalt

Das müssen Sie wissen

Die Führungsarbeit im Justizvollzug ist besonders. Es braucht Persönlichkeiten mit Weitblick, Feingefühl und Engagement. Für einen fortschrittlichen und professionellen Justizvollzug sind Leader gefragt, die das grosse Ganze im Blick haben, kreativ und neugierig sind, durch ihre Visionen neue Ansätze schaffen, Mitarbeitende motivieren und begeistern. 
Zusätzlich benötigt es eine Vielzahl an Managementkompetenzen, um die operativen Prozesse zu überwachen, Probleme des Tagesgeschäfts zu lösen, Arbeitsschritte zu koordinieren und die Mitarbeitenden anzuleiten und zu begleiten. Hierfür sind Organisationsfähigkeit, analytisches und interdisziplinäres Denken und Handeln, Kommunikationsfähigkeiten, gutes Zeitmanagement und Fähigkeiten zum Delegieren gefragt. 

Handbook for prison leaders (UNODC)

«Their own efforts as prison leaders will also depend on the success of other leaders in other parts of the justice system and the government.»

Das Handbook for prison leaders (UNODC United Nations Office on Drug and Crime) zeigt praxisnah auf, wie ein Gefängnis entsprechend den heutigen internationalen Standards geleitet werden kann. Es wurde speziell für Entwicklungsländer und Postkonflikt-Länder verfasst und dient zudem als Grundlage für die Durchführung eines Workshops, der den gegenseitigen Austausch und das Lernen von und mit Führungspersonen zum Gegenstand hat. 

Handbuch Führungs- und Managementausbildung (EPTA)

«Die Notwendigkeit, sich auf eine Reihe von Ausbildungsprinzipien zu verständigen, die im Einklang mit den ethischen Werten stehen, ist von grundlegender Bedeutung für eine gerechte, humane und effektive Leitung und das Management einer Haftanstalt.» 

Das Handbuch Führungs- und Managementausbildung (EPTA European Penitary Training Academies) ist einen Leitfaden für Ausbildungseinrichtungen und legt den Schwerpunkt auf den Erwerb und die Stärkung von Kernkompetenzen und -fähigkeiten zum Führen einer Vollzugseinrichtung. 

Prison Management Booklet (Council of Europe)

«Unlocking the potential of individual prisoners to transform their lives requires new managerial approaches in prisons. Amongst the key issues for consideration are the leadership, the integrity and how to motivate staff, within a framework of ethical principles and values»

Das Prison Management Booklet (Council of Europe) wurde zur Unterstützung der Strafvollzugsreform in der Ukraine entwickelt. Nebst der Vorstellung von theoretischen Managementmodellen, die in Gefängnissen angewandt werden können, hat es zum Ziel, Beispiele zu best practice in der Gefängnisverwaltung zu geben.

Führungsausbildung des SKJV

Um die Führungskompetenzen zu stärken und auszubauen, bietet das SKJV den Führungspersonen aus den Justizvollzugseinrichtungen eine zehnwöchige berufsbegleitende Ausbildung an. Sie vermittelt die nötigen Führungskompetenzen, um eine Institution des Freiheitsentzugs oder einen Bereich davon effizient, selbständig und nach einem heutigen und modernen Führungsverständnis zu leiten. Sie ist ein berufsbegleitender Lehrgang, der auf die höhere Fachprüfung zum Erwerb des eidgenössischen Diploms «Führungsexpertin/Führungsexperte Justizvollzug» vorbereitet.

55.2
%
der im Jahr 2021 befragten Anstaltsleitenden (n=29) waren bereits vor ihrer Tätigkeit im Justizvollzug tätig
53.8
%
der im Jahr 2017 befragten Anstaltsleitenden (n=39) verfügen über einen Universitäts-, Hochschul- oder Fachhochschulabschluss
71.3
%
des befragten Personals (2020/2021, n=1221) erlebt die Zusammenarbeit mit den direkten Vorgesetzten als positiv

Isenhardt, A., Frey, L., Mangold, C. & Hostettler, U. (2022). Führung im schweizerischen Justizvollzug – Auswertungen der Direktionenbefragungen (2017, 2021) und der Personalbefragungen (2012, 2017, 2020/21). Interner Bericht zuhanden des SKJV. Bern: Universität Bern – Institut für Strafrecht und Kriminologie, Prison Research Group