Forschung im Justizvollzug

Praxisentwicklung

Laura von Mandach, Leiterin Analyse und Praxisentwicklung SKJV

Marc Wittwer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Analyse und Praxisentwicklung SKJV 

Der Justizvollzug steht an der Schnittstelle zwischen Gesetz und Praxis sowie zwischen Gewährleistung von Sicherheit und Grundrechten. Die Untersuchung davon, wie der gesetzliche Auftrag des Sanktionenvollzugs in der Praxis umgesetzt wird, ist für Forschende attraktiv. Die Praxis im Justizvollzug spiegelt zentrale Werte jeder Gesellschaft.

Dieser Beitrag basiert auf einer Kurzumfrage sowie Diskussionen im Rahmen des Werkstattgesprächs Forschung des SKJV. In diesem jährlich stattfindenden Austauschgefäss werden Projekte, welche den Justizvollzug tangieren, vorgestellt und diskutiert.

Es tut sich was

Zu Justizvollzugsfragen wird immer mehr geforscht. Die Vielfalt an Perspektiven hat gegenüber früher deutlich zugenommen. Dies zeigt sich an vergleichenden europäischen Forschungen zu Inhaftierungsraten, ethnographischen Ansätzen zum Gefängnisklima oder an klinischen Studien zur Gesundheit inhaftierter Personen. Die Diversität zeigt sich methodisch sowie in der Adressierung verschiedener Disziplinen. Das trägt Früchte: Es lässt Debatten und Diskussionen entstehen, in denen vielseitige Ideen und Gesichtspunkte zu einer wirksamen Verbesserung des Systems beitragen. 

Kooperation als Schlüssel

In der Schweiz ist die Justizvollzugsforschung mit der Hochschullandschaft eng verzahnt. Deshalb fliessen Forschungserkenntnisse zeitnah in die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen ein. Viele Forschende sind auch in der Lehre tätig, sie entwickeln Weiterbildungsangebote und Fachtagungen für Expert:innen aus dem ganzen Land. Effektive Forschung besteht dabei in der Regel nicht aus einer einzigen Studie, deren Erkenntnisse in der Praxis implementiert werden. Viel wichtiger sind langfristige Beziehungen  zwischen Forschung und Praxis, welche fortlaufend gepflegt werden. Aus der Wissenschaft müssen neue Ideen entwickelt und geprüft werden, aber auch der Justizvollzug sollte proaktiv auf die Wissenschaft zugehen und benennen, wo Forschungsbedarf besteht.   

Aufgrund der föderalen Struktur und der unterschiedlichen Realitäten in den Kantonen unterscheiden sich die Forschungsschwerpunkte. Umso wichtiger sind praxisnahe Ansätze. Für die vergleichende Forschung stellt die kantonale Vielfalt eine Chance dar. Die Schweiz ist für Forschende ein spannendes «Labor»: Interkantonale Vergleiche bieten die Möglichkeit, Forschungserkenntnisse zu kontrastieren oder zu differenzieren. Die Modellversuche des Bundesamts für Justiz sind ein gutes Beispiel dafür, wie lokal getriebene Praxisentwicklung und Forschung überkantonal gefördert und so für die Weiterentwicklung des Gesamtsystems eingesetzt wird.    

Wirkung von Forschung

Forschung leistet einen wichtigen Beitrag an die Adresse der Politik: Sie liefert verlässliche Daten und systematische Analysen. Ein strukturierter Zugang zu Daten, eine transparente Methodik sowie ein ganzheitlicher Ansatz, der die gesamte Strafrechtskette berücksichtigt, sind Kernelemente gelingender Justizvollzugsforschung. Auch kommen dadurch faktenbasierte politische Diskussionen und Meinungen zustande. Allerdings ersetzt Forschung keine politischen Entscheidungen. Sie kann jedoch als Informationsgrundlage für die Politik dienen, vor negativen Auswirkungen oder Fehlentwicklungen warnen und bewährte Praktiken oder besorgniserregende Trends aufzeigen.  

Noch viel zu tun

Die Schweizer Forschung zu Justizvollzugsfragen ist international anerkannt – nicht zuletzt dank frei zugänglicher, detaillierter Statistiken und dem zunehmenden Interesse an empirischer Evidenz zu Rückfälligkeit, Bewährungshilfe oder Alternativen zum Freiheitsentzug. Dennoch gibt es Themenbereiche, in denen Forschung noch entscheidende Impulse liefern kann. Dazu gehören insbesondere:  

  • Psychische Gesundheit inhaftierter Personen 
    Erforschung psychischer Belastungen und Erkrankungen in der Haft und die Analyse bestehender Versorgungslücken
  • Wiedereingliederungsprozesse 
    Untersuchung fördernder und hindernder Faktoren für die nachhaltige soziale und berufliche Wiedereingliederung nach dem Freiheitsentzug
  • Biografien marginalisierter Personengruppen 
    Analyse der Lebensverläufe und strukturellen Benachteiligungen von Personen, die besonders häufig von Strafverfolgung und Inhaftierung betroffen sind

Die oben genannten Bereiche sind nur einige von vielen, in denen die Justizvollzugsforschung in Zukunft voranschreiten wird. Sie wird weiter zur kontinuierlichen Verbesserung des Systems beitragen. Gesellschaftliche Entwicklungen wie der demografische Wandel, die Digitalisierung oder das Aufkommen neuer sozialer Ungleichheiten beeinflussen sämtliche Lebensbereiche und entsprechend auch den Sanktionenvollzug. Sie bringen neue Fragen von gesellschaftlicher Teilhabe, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit mit sich, die es interdisziplinär, praxisnah und vernetzt zu beantworten gilt.