«FUOCO»: Durchführung von Krisenmanagementübungen in Anwesenheit von inhaftierten Personen

Praxisentwicklung

Antony Meillaz, Bildungsverantwortlicher des Justizvollzugs Kantons Waadt
Simon Mastrangelo, Wissenschaftlicher Mitarbeiter SKJV

Um auf mögliche Risikosituationen vorbereitet zu sein, wird das Personal des Justizvollzugs sowohl theoretisch als auch praktisch ausgebildet. Das Justizvollzugamt des Kantons Waadt (SPEN) organisiert ergänzende Situationsübungen, deren Besonderheit darin liegt, dass sie unter realen Bedingungen und in Anwesenheit der inhaftierten Personen durchgeführt werden. Es ist eine komplexe Aufgabe, Krisenmanagementübungen unter realitätsnahen Bedingungen zu organisieren und dabei die Sicherheit aller zu gewährleisten.

Um auf Risikosituationen wie Brände, aggressive Handlungen oder Aufstände vorbereitet zu sein, muss das Personal geschult werden. Um die Diskrepanz zwischen Ausbildung und Realität auf ein Minimum zu reduzieren und Verbesserungsmassnahmen zu definieren, werden seit 2021 in Anwesenheit von inhaftierten Personen und ohne Änderungen im regulären Tagesablauf der Einrichtung Übungen zum Umgang mit Risikosituationen durchgeführt. Die Organisation dieser Übungen erweist sich als komplex, denn ihre Durchführung muss bis zum letzten Moment vertraulich bleiben, damit sie die Realität widerspiegeln können.

Situationsübung im Gefängnis de la Croisée, 23. März 2023 (Orbe, Kanton Waadt). Mittendrin in der Übung - ein Bericht

Ein siebenköpfiges Team (Bildung SPEN) steuert die Übungen und übernimmt verschiedene Rollen (Koordination, Markeure, angeblich Verletzte, Alarmzentrale). Dazu kommen mehrere Schiedsrichter (Führungskräfte der Einrichtungen), deren Aufgabe es ist, unterschiedliche Aspekte im Auge zu behalten. 

06:45 Uhr: Erstes Briefing mit den stellvertretenden Leitern der Einrichtungen, die, mit Ausnahme des stellvertretenden Leiters der Fachleute für Justizvollzug, erst jetzt von der heutigen Übung erfahren. Bestandsaufnahme und Klärung der Grenzen der Übung. Ein leitender Angestellter der Einrichtung wird als Verantwortlicher für die Koordination der Operationen benannt. 

07:30 Uhr: Besprechung mit dem SPEN-Team, das die Übung vorbereitet.

08:30 Uhr: Anpassungen in letzter Minute wegen einer Änderung im Zeitplan der von der Übung betroffenen Werkstatt. Kontrolle der Funkverbindung und Klärung der jeweiligen Rollen. Erinnerung an den Ausbildungszweck und den wohlwollenden Blick der Schiedsrichter.

09:00 Uhr: Die Übung beginnt ungefähr eine Viertelstunde, nachdem die inhaftierten Personen und das Personal der Einrichtung darüber informiert wurden. Die Nebelmaschine läuft auf Hochtouren und verändert sehr schnell die Realität in der Abteilung, in der die Übung stattfindet. Schon bald kann man fast gar nichts mehr sehen. Rund 20 inhaftierte Personen werden von den Fachpersonen für Justizvollzug in relativer Ruhe evakuiert. (Es kommt zu einigen Beleidigungen der Angestellten und eine der inhaftierten Person weigert sich, ihre Zelle zu verlassen. Sie kann aber schliesslich von einem Mitglied des Kaders überzeugt werden.) Das Personal der Abteilung findet zwei verletzte Personen vor (Schauspieler) und muss sie evakuieren. Durch das Tragen von Atemschutzgeräten werden die Bewegungen der Beamten ruckartiger. Obwohl sie wissen, dass es sich um eine Übung handelt, ist ihre Anspannung deutlich zu spüren. Verschärfend wirkt, dass die Kommunikation über Funk durch den Lärm des Ventilators beeinträchtigt wird, welcher den Rauch abziehen soll. Alle sind vollkommen von der Situation absorbiert und auf ihr Ziel fokussiert. 

Ca. 9:15 Uhr: Die Verletzten sind evakuiert und können behandelt werden. 

Ca. 9:30 Uhr: Kaum scheint die Situation unter Kontrolle zu sein, werden die Fachleute für Justizvollzug erneut unter Druck gesetzt. Aus einem geschlossenen Raum (den Duschen) sind Schreie zu hören. Eine Person (Markeur) hämmert wie verrückt an die Tür. Die Fachpersonen für Justizvollzug scheinen einen Moment lang nicht zu wissen, ob dies noch Teil ist der Übung oder nicht. Hatten sie in der Hitze des Gefechts vielleicht einen (echten) Häftling vergessen? Die Fachpersonen für Justizvollzug stellen fest, dass die betreffende Person (ein Mitglied des SPEN-Teams) äussert aggressiv ist und eine Stichwaffe bei sich trägt. Der stellvertretende Leiter beschliesst, mehrere Angestellte ausrüsten zu lassen, um die Person zu neutralisieren. 

Ca. 9:45 Uhr: Nach einer Intervention, die angesichts des intensiven Einsatzes des vermeintlichen Inhaftierten sehr real erschien, gelang es den Fachleuten für Justizvollzug, die Person zu überwältigen. Von aussen betrachtet wirkt die Szene sehr realistisch und die Spannung ist greifbar. 

10:03 Uhr: FINEX! Über Funk wird das Ende der Übung angekündigt. Entspannung und Lächeln zeigen sich auf den Gesichtern des Personals.

10:15 Uhr: Debriefing mit den für die Sicherheit zuständigen stellvertretenden Leitern. 

11:00 Uhr: Interner Austausch der Übungsleitung. Die positiven Punkte werden hervorgehoben, noch zu verbessernde Aspekte werden aufgezeigt. 

11:45 Uhr: Das gesamte Personal der Einrichtung ist versammelt. Das Team des SPEN fasst die Beobachtungen zusammen. Als bekannt gegeben wird, dass die Übung erfolgreich war, ist eine gewisse Erleichterung zu spüren.

Eingreifen der Fachleute für Justizvollzug in der Werkstatt, in der das Feuer ausgebrochen ist

Eingreifen der Fachleute für Justizvollzug in der Werkstatt, in der das Feuer ausgebrochen ist. Hier im Bild: der Schiedsrichter (links), die eingreifenden Fachpersonen für Justizvollzug (Mitte) und der stellvertretende Leiter, der die Operation koordiniert (rechts).

Einrichtung des Ventilators, der den Rauch abzieht.

Einrichtung des Ventilators, der den Rauch abzieht.
Behandlung eines Verletzten

Behandlung eines Verletzten.

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Eindrücke und Rückschlüsse für die Zukunft

Es ist eine komplexe Aufgabe, Krisenmanagementübungen unter realitätsnahen Bedingungen zu organisieren und dabei die Sicherheit aller zu gewährleisten. So muss es unter anderem gelingen, dass sich das Personal der Einrichtung vollständig auf die Übung einlässt. Es war zu befürchten, dass sich die inhaftierten Personen nicht kooperationsbereit verhalten, aber es zeigte sich, dass die dynamische Sicherheit, die in den beiden Einrichtungen etabliert wurde, die Zusammenarbeit zwischen den inhaftierten Personen und den Fachleuten für Justizvollzug erleichterte. Der Austausch im Anschluss an die Übungen hat gezeigt, wie wichtig diese Übungen sind, um sich über die Stärken und Schwächen der Einrichtungen bewusst zu werden. 

Das Bildungsteam des SPEN steht für weitere Auskünfte zur Verfügung. 
Anfragen können an folgende Mailadresse gesandt werden: spen.formation@vd.ch

 

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